
Wanderung in den Reben
Ausflug der Klasse 5a
Das geht ja gut los. Es ist 7.40 Uhr, und wir wollen los. Aber J. fehlt. Frau Röderer rennt schnell noch einmal ins Sekretariat hoch. Da ist nichts bekannt, keine Krankmeldung und auch sonst keine Nachricht. Aber wir haben keine Zeit mehr, es ist schon 7.45 Uhr, und der Linienbus nach Ortenberg wartet nicht. Also marschieren wir, 29 Schülerinnen und Schüler aus der 5a und die Klassenlehrer, Herr Hechinger und Frau Röderer, ohne J. in Eilschritten davon. Vom Schulhof des Oken-Gymnasiums bis zum Bahnhof sollte es in 10 Minuten zu schaffen sein. Und gerade noch rechtzeitig erreichen alle den Bus. Er bringt uns in kurzer Zeit nach Ortenberg.
Wir sind unten im Tal, aber das Schloss Ortenberg ist schon zu sehen. In Serpenti-nen schlängelt sich der Weg durch die Reben den Berg hoch. Natürlich bleiben den Schülern die steilen, kerzengeraden und wohl viel kürzeren Wege am Hang nicht verborgen. Ob sie nicht abkürzen dürften? Aber im Moment ist den Lehrern nicht nach weiteren Abenteuern zumute. Mit dem Handy gelingt es, Kontakt mit dem Vater von J. aufzunehmen. Er habe den Jungen direkt an den Bahnhof gebracht. Aber wo ist er nun? Wir haben ihn am Bahnhof nicht gesehen, und der Vater weiß auch nicht, wo er geblieben sein könnte. Wie auch immer, wenn er ihn finden würde, würde er ihn mit dem Auto direkt zum Schloss Ortenberg bringen.
Wir andern in der Wandergruppe sind dem Schloss inzwischen nahe gekommen. Nach wenigen Minuten stehen wir oben vor dem Turm. „Ab 9.00 Uhr geöffnet“, kann man lesen. Das wäre ja schon in 10 Minuten. Also versammeln wir uns erst einmal im Schlosshof, das Vesper haben wir uns verdient. Vor uns in der Tiefe liegt das Kinzigtal, und an seinem Ende sehen wir Offenburg. Einige Schüler kennen das schon, aber die meisten sind zum ersten Mal hier. Für ein paar Fotos dürfen die Schüler jetzt auch ihr Handy aus dem Rucksack nehmen. Inzwischen ist es 9.15 Uhr, aber der Turm ist immer noch verschlossen. Ich renne hoch zum Schloss, in dem eine Jugendherberge untergebracht ist, und frage, wann denn der Turm aufge-schlossen würde. Der zuständige Herr sei heute etwas später gekommen, bedeutet man mir, aber man werde ihn gleich nach unten schicken. Und dann kommt er auch schon und macht uns auf.
„Da ist J.“, sagen ein paar Schüler. Und in der Tat steigen J. und sein Vater gerade aus dem Auto. Also hat J. doch noch zu uns gefunden. Irgendwie hat wohl an diesem besonderen Tag die ganze Familie verschlafen. So etwas kommt vor. Hauptsache, wir sind jetzt alle zusammen. Schnell steigen wir den Turm hoch. Vom Turm aus kommt man auf eine Plattform, von der aus ein weiterer Turm noch höher führt. Und dann ist man schließlich oben. Herrliche Aussicht bei idealem Wanderwetter. Die Wolken am Himmel verbergen die Sonne, aber richtig neblig ist es nicht. Die Temperaturen sind angenehm, es ist nicht heiß, aber auch nicht kalt. Ideales Wanderwetter eben. Auf dem gesamten Turmrund sind Wegmarkierung angebracht. Man liest, wie weit es nach New York oder Paris ist. Aber auch die Entfernungen nach Schutterwald oder Altenheim sind angeschrieben. Schutterwald ebenbürtig neben Paris. Warum nicht!
Unten wartet schon Herr Gleichert. Er wird uns zum „Weingut Schloss Ortenberg“ führen und uns einiges erklären. Gleich oberhalb des Schlosses macht er uns auf einen „Hinkelstein“ aufmerksam, der in den Weinbergen hinter einer Rosenhecke verborgen ist. Man vermutet, dass er schon seit keltischen Zeiten dort liegt. Sicher ist man aber nicht. Der Weg führt erst in leichtem Auf und Ab durch die Weinberge, später geht es ein Stückchen durch den Wald, bis man schließlich wieder in das Rebgebiet gelangt. Wenn das mit den EU-Geldern klappe, erklärt uns Herr Gleichert, würden die Weinberge in wenigen Jahren hier ganz anders aussehen. Im Moment liefen die Reben steil den Hang hinab. Dann würden sie aber auf Terrassen parallel versetzt angelegt, und man könnte dann auch Traktoren einsetzen, was im Moment zum Teil nur unter Lebensgefahr möglich wäre. An einer Wegkreuzung werden vier Schüler an die Ecken eines gedachten Quadrats gesetzt, jeder 10 Meter von seinen beiden Nachbarn entfernt. So bekommen die Schüler gleich eine Vorstellung davon, wie groß 1 Ar ist.
Schließlich erreichen wir das „Weingut Schloss Ortenberg“. Direkt davor sind Lehrreben mit verschiedenen Rebsorten angelegt. Nicht alle werden im Weingut angebaut. Aber warum sind da überall Rosenhecken davor? Wegen des Mehltaus, einer Rebkrankeit, erklärt uns Herr Gleichert. Dieser befalle auch die Rosen, und so seien in früherer Zeit die Winzer gewarnt gewesen, dass auch den Reben etwas drohen könne, wenn der Mehltau sich über die Rosen gelegt habe. Heute kenne man modernere Methoden zur Aufdeckung von Rebkrankheiten, die Rosen dienten jetzt mehr der Zierde.
Unten am Weingut kommen wir an die „alte Kelter“. Sie ist schon lange nicht mehr in Gebrauch und steht jetzt als Museumsstück im Hof. Wir verwenden sie jedoch nicht, um den Saft aus den Trauben zu pressen, sondern um uns für ein Foto wie die Hühner auf der Stange nebeneinander aufzureihen. Danach zeigt uns Herr Gleichert, mit welchen Maschinen heutzutage die Trauben ausgepresst werden. Irgendetwas von der „alten Kelter“ darin wiederzuerkennen dürfte schwerfallen. Wir werden durch die Halle mit den landwirtschaftlichen Geräten geführt und kommen schließlich zum Hauptgebäude. Unten im Keller sehen wir zuerst den Raum mit den Holzfässern, danach kommen wir in die Halle mit den großen Tanks. Es riecht ein bisschen streng, wie es wohl riechen muss, wenn aus dem süßen Traubensaft das alkoholische Getränk entsteht, das die Römer nach Germanien gebracht haben. Einige Schüler halten sich die Nase zu und wollen schnell nach draußen. Aber erst hören wir uns noch die Erklärungen von Herrn Gleichert an. Allzu lange will aber auch er nicht mit den Schülern in der Kellerhalle verweilen, denn das geruchslose CO2, das bei der Gärung entsteht, sammelt sich am Boden. Und Herr Gleichert will nicht das Risiko eingehen, dass am Ende noch einer der Schüler mangels Sauerstoff umfällt.
Am Schluss dürfen wir noch auf die Terrasse des Weinguts. Inzwischen ist die Sonne aus den Wolken hervorgetreten und bescheint wärmend unser kleines Vesper. Dann heißt es jedoch aufbrechen. Wir müssen unbedingt den Bus erreichen, der uns zurück nach Offenburg bringt. Eigentlich sollte die Zeit gut reichen. Doch Frau Röderer hat noch etwas mit uns vor. Auf einem kleinen Umweg gelangen wir an ihr Wohnhaus in Ortenberg, wo sie jedem ein Eis spendiert. Dankeschön. Obwohl wir jetzt Lust hätten, in Frau Röderers Hof gemütlich abzusitzen und etwas auszuruhen, müssen wir weiter. Das Feld zieht sich auseinander. Ein paar Schüler marschieren mit den Lehrern zügig voran, aber viele kommen nur zäh hinterher. Ob sie nicht mehr können? Oder gibt es unterwegs so viel zu erzählen? Schließlich ist so ein Ausflug ja auch dazu da, die neuen Mitschüler, mit denen man seit drei Wochen in einer Klasse zusammensitzt, näher kennenzulernen. Aber wir schaffen es noch rechtzeitig zur Bushaltestelle. Und um 13.00 Uhr sind wir nach einem erlebnisreichen Vormittag zurück in Offenburg.
Thomas Hechinger