
Theater am Oken
Tod auf dem Nil
Die Theater-AG des Oken-Gymnasiums brillierte mit ihrer Inszenierung des Krimiklassikers „Tod auf dem Nil“ von Agatha Christie. Für die Zuschauer wurde der Theaterabend zu einem ganz besonderen Erlebnis, denn wer eine Eintrittskarte – genauer: eine „Bordkarte“ – ergattert hatte, verwandelte sich beim Betreten der Aula kurzerhand in einen Passagier der Nilkreuzfahrt. Fliegende Händler (wunderbar verschmitzt und hartnäckig: Mike Vollmer und Fabian Keck) boten Perlen feil, der Steward (sehr beflissen mit knallrotem Fez: Janik Schnebel) wies die Plätze zu und der Kapitän (geschäftsmäßig: Leonie Eckstein) kündigte das bevorstehende Ablegen des Schiffes an. Auf diesem Schiff fanden sich allmählich allerhand illustre Gäste ein. Mr. Smith etwa, der aus sozialem Gerechtigkeitssinn seinen Adelstitel verschweigt und das Geschehen an Bord aus sicherer Distanz, aber scharfsinnig kommentierend begleitet (großartig schlagfertig und ironisch: Kristian Köhler). Oder Miss Ffoliot-Ffoulkes, mit überzeugendem Snobismus von Wilma Albrecht gespielt, die sich über ein fehlendes „F“ wunderbar echauffieren kann und sowieso nur Verachtung übrig hat für die „niederen sozialen Stände“. Sie dirigiert ihre Nichte, die in allen das Gute sieht (romantisch verträumt: Lara Böhle / Annika Schaub), herrisch und erbarmungslos.
Doktor Bessner, witzig verschroben mit Gelehrtenbrille und griffbereitem Baedeker von Jakob Bohnert dargestellt, hat als Arzt für jedes Leiden die passende Spritze. In seelischen Notlagen berät hingegen Pfarrer Pennefather (sehr souverän und würdevoll: Okan Taskan), bibelfest und moralisch über jeden Zweifel erhaben. Gewieft sammelt er Spenden für sein missionarisches Projekt, auch bei seiner reichen Nichte (treffend verwöhnt und ichbezogen: Ylka Kryeziu / Ann-Julie Franz), die mit ihrem frisch angetrauten Ehemann (glaubhaft naiv und unschuldig: Sascha Konrad) und dem loyal ergebenen Dienstmädchen Louise (überzeugend: Anna Böhme) an Bord die Flitterwochen verbringen möchte. Jeder der Ankömmlinge erhält vom eifrigen Steward selbstredend die „beste“ Kabine an Bord und das gewünschte Getränk. Jedoch ist schnell klar, dass die Idylle getrübt ist: Das junge Paar wird von der Ex-Verlobten Jacqueline de Severac verfolgt und hofft, ihr auf dem Schiff mittels einer falsch gelegten Fährte entkommen zu sein. Als die Verfolgerin jedoch wider Erwarten kurz vor dem Ablegen auch hier auftaucht (beeindruckend rachedurstig und verletzlich: Rosa Kössler / Pia Meier), macht sich Verdruss breit, besonders beim frisch gebackenen Ehemann.
Das Zureden des Pfarrers kann die Katastrophe nicht verhindern: Die junge Ehefrau wird erschossen in ihrem Bett aufgefunden. Kurz zuvor war ihr Mann von Jacqueline de Severac mit der gleichen Waffe am Knie verletzt worden. Der Verdacht fällt sofort auf sie; jedoch kann der gute Dr. Bessner bezeugen, dass seine Spritze, die er der Delinquentin nach ihrem Schuss auf den Ex-Verlobten verabreicht hat, äußerst schläfrig und damit bewegungsunfähig macht. Weil die Polizei auf sich warten lässt und der Kapitän mit der Situation überfordert ist, führt der Pfarrer die Befragungen durch. Schnell stellt sich heraus, dass so ziemlich jeder ein Motiv und die Gelegenheit hatte, den Mord zu begehen.
War es Doktor Bessner, der mit dem Vater des Opfers noch eine Rechnung offen hat und die Familie leiden sehen möchte? Oder war es gar der Pfarrer selbst, der dringend noch mehr Geld für die Verwirklichung seiner Pläne benötigt? Im Laufe der Ermittlungen geschehen einige turbulente Wendungen, weitere Schüsse werden abgegeben und Doktor Bessners ärztlicher Rat ist noch mehrmals gefragt. Des Rätsels Lösung erfolgte am Ende in bester Agatha-Christie-Manier durch messerscharfes Kombinieren und versetzte die mitfiebernden Zuschauer – pardon, Passagiere – in Erstaunen.
Den begeisterten Applaus hatte sich die Theater-Truppe um Betty Wilke und Thorsten Marquardt mehr als verdient. Jedes Detail stimmte, vom Bühnenbild angefangen (genial als Nildampfer in Szene gesetzt von Ursula Krimm und Dominik Groß) über die Kostüme, die ebenso wie die Musik die stimmungsvolle Atmosphäre mondäner Kreuzfahrten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts einfingen. Die Technik-AG setzte die Aufführung souverän und zuverlässig ins rechte Licht und sorgte für den passenden Ton. Mittels Beamer wurden Fotos der Nillandschaft projiziert. Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 1 kümmerten sich um die angemessene Verpflegung der Passagiere während des Landgangs (vulgo: Pause).
Am Ende hieß es für die Schauspielerinnen und Schauspieler aber auch, Abschied zu nehmen: Jakob Bohnert, Kristian Köhler, Sascha Konrad, Rosa Kössler, Janik Schnebel und Okan Taskan verlassen die Schule mit dem Abitur in der Tasche. Sie werden fehlen im Ensemble der Theaterbegeisterten – so manche Träne zeugte davon. Allerdings zeigte der Abend auf dem Nil auch, dass es allen Grund gibt, sich auf den Nachwuchs zu freuen!
I. Walter