Schueler
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Drittortbegegnung

Zweisprachiges Leben und Lernen in Marseille

Oken-Schüler besuchten gemeinsam mit Eleven des Lycée Marc Bloch die Mittelmeermetropole

Seit nunmehr fünf Jahren besteht eine Kooperation des Oken-Gymnasiums mit dem Lycée Marc Bloch aus Straßburg. Nach Antibes, Berlin, Paris und Hamburg war diesmal Marseille das Ziel dieser besonderen Form des Schüleraustauschs, bei dem deutsche und französische Schüler gemeinsam für eine Woche an einen dritten Ort fahren.

„Menschenströme, Warenströme / flux humains, flux des marchandises“ lautete das Motto der diesjährigen Drittortbegegnung in Marseille. Die Schüler erlebten Marseille als Drehscheibe für Einwanderer, aber auch als Teil einer Region, für die der Industriehafen Fos sur Mer als drittwichtigster europäischer Seehafen von großer Bedeutung ist.

Einen sehr lebendigen Eindruck der Probleme von eingewanderten Frauen konnten die Schüler in der association femmes d’ici et d’ailleurs gewinnen. Sechs Frauen, vor allem aus den Maghreb-Staaten, darunter auch die Gründerin dieser Einrichtung, Fatima Rhazi, schilderten den Schülern ihre persönliche Lebenssituation – was es heißt, ohne Papiere und mit kleinen Kindern in ein fremdes Land zu kommen und jahrelang auf der Straße leben zu müssen. Bei einem gemeinsamen Couscousessen lernten sie die orientalische Esskultur und Tischsitten kennen.

Im Industriehafen Fos, der sich über eine Fläche der Größe Paris‘ erstreckt, erfuhren die Schüler einiges über die Waren, die dort umgeschlagen werden und wie das Auge des Gesetzes versucht, Schmuggel und illegale Warenströme einzudämmen. Die Kehrseite des mechanisierten Warenumschlagplatzes Fos zeigte ein Film, der die völlig veränderte Kulturlandschaft des unästhetischen, menschenleeren und ökologisch verschandelten Terrains zum Thema hatte.

Gemeinsam besichtigten die Schüler zudem das Zentrum Marseilles, das historische Viertel Le Panier und die neu entstehende Marseiller Hafencity: Euroméditerranée.

Höhepunkt der Begegnung war der Abschlussabend, den die Schüler jeweils in den Abendstunden der vorausgegangenen Tage vorbereitet hatten. In einzelnen Beiträgen wurden die Erfahrungen und Erlebnisse der Woche kreativ umgesetzt. Eine Theatergruppe spielte ein konfliktgeladenes Drama, in der ein algerisches Mädchen und ihre Mutter sich nicht der Partnerwahl ihres traditionell denkenden Vaters beugen. Eine andere Gruppe präsentierte die Nachrichtensendung Info Échange, in der Reporter von unterschiedlichen Orten aus über Marseille berichteten. Wieder andere Gruppen hatten in einem deutsch-französischen Chanson ihre Erlebnisse verarbeitet oder berichteten über Marseille aus dem Schuhkarton, in dem sie allerlei Objekte gesammelt hatten, die ihnen während ihres Aufenthalts begegnet sind. Es gab ein Marseille-Quiz, eine Reisezeitung, eine multimediale Diashow, die die Begegnung Revue passieren ließen, und es galt, als Außerirdische die Mittelmeermetropole Marseille den zuhause gebliebenen Extraterrestrischen nahezubringen.

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Miteinander leben und über gemeinsame Erfahrungen sprechen: Das deutsch-französische Sprachenprojekt war ein Riesenerfolg.

Deutsche und Franzosen teilten sich die Vier- bis Sechsbettzimmer ihrer Unterkunft, die direkt am Meer lag. Durch die vielen gemeinsamen Aktivitäten und gemischtsprachigen Projekte überwanden die Schüler schnell ihre Scheu, sich in der fremden Sprache auszudrücken. „Wir konnten uns sehr gut verständigen. Ich habe viel Französisch gesprochen und natürlich auch Umgangssprache gelernt“, sagt eine Schülerin der 10. Klasse. „So viel Französisch habe ich seit dem letzten Austausch nicht mehr geredet. Es ist anders als im Unterricht, weil man nicht verbessert wird“, fügt eine Schülerin aus der elften Klasse hinzu.

Tina Häberle und Frank-Jochen Saam, die begleitenden Lehrer des Oken-Gymnasiums, haben in den letzten fünf Jahren das jetzige Konzept des Schüleraustauschs mit ihren französischen Kollegen erarbeitet: „Es bringt nichts, in fünf Tagen möglichst viel anzuschauen und die Schüler mit Informationen zu überfrachten. Eine klare Schwerpunktsetzung ist wichtig – und vor allem sollen die Schüler über das Erfahrene in der Fremdsprache miteinander sprechen“, erläutern die beiden. „Unser Ziel ist es, dass möglichst dieselbe Schülergruppe in zwei aufeinander folgenden Jahren einmal nach Frankreich, einmal nach Deutschland fährt.“ Die beiden Hauptstädte, Berlin und Paris, und zwei Hafenstädte, Hamburg und Marseille, würden so im Wechsel zum Ort der Begegnung. Damit würde interkulturelles Lernen direkt vor Ort ermöglicht. Was ist in Marseille anders als in Hamburg, was ist in diesen Städten ähnlich? Die Schüler könnten so durch praktische Anschauung direkt vergleichen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten erkennen. Bei den Schülern kommt das Konzept jedenfalls gut an: „Das Programm war spannend und wirklich abwechslungsreich. Die Drittortbegegnung ist wirklich ein Superprojekt“, so ein Zehntklässler.

 

Frank-Jochen Saam