Schueler

Außerhalb des Käfigs ist der Dschungel

Badische Zeitung, 31.Mai 2014

Mit „Der Zoo“ zeigt das Mittelstufen-Theater am Oken-Gymnasium ein beklemmendes Bestiarium popmoderner Charakterhülsen.

OFFENBURG. Am Oken-Gymnasium hat man Mut zu zeitgenössischem Theater. Mit Mayenburgs „Turista“ brachte man vor zwei Jahren Düster-Abgründiges komödiantisch-unterhaltsam auf die Schultheaterbühne. In dieser Saison wird mit Kerstin Spechts „Der Zoo“ von 2009 wieder ein provokantes, vielschichtiges, fast surrealistisches Gegenwartsstück gegeben. Mut bewiesen nicht nur Regie (Schröder & Schröder) und die jungen Darsteller, auch das Premierenpublikum zeigte sich unerschrocken – und ließ sich im ersten Akt in einen Käfig sperren.

Starkes zeitgenössisches Theater am Oken-Gymnasium (Foto: Schröder)

Starkes zeitgenössisches Theater am Oken-Gymnasium (Foto: Schröder)

Das Publikum sitzt auf Drehstühlen in der Mitte des Raums, die 14 Schauspieler agieren rundherum an den vier Gittern des Geheges (Bühnenbild: Ursula Krimm, Betty Wilke). Wir sind im Zoo. Wir sehen – aus der Perspektive der Tiere – Menschen, wie sie Tiere betrachten und sich dabei über ihre Glücksvorstellungen verständigen. Verständigen? Na ja, sie reden mit sich selbst und aneinander vorbei. Derbe Jugendsprache und postmoderner Jargon. Ramponierte Typen allesamt: apathisch, selbstmitleidig, borniert, verunsichert. Enttäuschte Glückssucher wie die nach mehreren Schönheitsoperationen vereinsamte Exfrau eines Chirurgen (Katharina Gorcenkova) oder die blasierten Oberstufenschülerinnen (Kathrin Panitz, Emma Goldenfels), die sich von einem tätowierten Mann (mit voller körperlicher Präsenz: André Franz) Pillen zustecken lassen: „Liquid Extacy zum Frühstück“. Eine depressive, alleinerziehende Mutter mit Babykorb. Eine Blinde und ihr durchgeknallter Freund, der mit einer Pistolenattrappe einen Pinguin erschießt.

Um Tiere geht es eher am Rande. Sie sind Projektionsfläche für Ängste, Sehnsüchte, Aggressionen dieser skurrilen Menschen. Der Tierpfleger Max (besenschwingend: Jonas Seger) verlässt seine Freundin Alice (mit reifer Leistung: Marine Soler), weil er sich in ein Nashorn verliebt hat. Max dreht die Verhältnisse um: er entlässt die Tiere in die Freiheit – und damit die Zuschauer in die Pause. Die Inszenierung und die hochkonzentriert spielenden Akteure erzeugen eine derart beklemmende Atmosphäre, dass man als Zuschauer den Impuls verspürt, dieses Bestiarium popmoderner Charakterhülsen schnell zu verlassen. Doch das sollte man nicht tun, will man nicht eine großartig gespielte zweite Halbzeit verpassen.

Max sperrt die Zoobesucher im Nashornhaus ein, das für Partys vermietet wird. Das Publikum schaut nun in den Käfig hinein (von wo es frech tönt: „die Affen sitzen jetzt auf den Bänken“). Dieser wird zu einer Art Dschungelcamp. Nachdem sich die Panik gelegt hat, sortieren die Menschen im Käfig sich und ihre Beziehungen neu, werden zeitweise zum Tier. Gesteuert von Trieben und Instinkten, die befriedigt werden wollen, überwinden sie Distanz und Entfremdung. Es entstehen neue Paarungen. Menschliche Nähe, Freundschaft, Liebe scheinen möglich – allerdings nur hier im Zoo. Die beiden Mädchen, die sich streichelnd die Strohhalme von der Kleidung absuchen, könnten auch sich gegenseitig lausende Schimpansen sein. Das brüchige Idyll kippt bald wieder um. Ob die skurill überzeichneten Figuren am Ende ihr Leben tatsächlich ändern, ist wenig wahrscheinlich, denn „draußen ist der Dschungel“. Dort haben die Raubtiere die Macht übernommen und eines ihrer ersten Opfer ist Max.

Die Autorin Kerstin Specht steht in der Tradition des kritischen Volksstücks, hat sich aber mit „Der Zoo“ teilweise wieder davon gelöst. Eine gewisse Sperrigkeit bleibt. Auch bei Brecht, Ödon von Horvath oder F.X. Kroetz geht es in unverblümter Sprache heftig zur Sache. „Der Zoo“ hat komödiantische Elemente („Ich gebe Ihnen keinen Kuss, Sie haben gekotzt.“ – „Das macht doch nichts“), gleitet aber nicht in Klamauk oder Peinlichkeit ab. Die jungen, mehrheitlich der Mittelstufe angehörenden Darsteller arbeiten das Verstörende, Irritierende, Widersprüchliche der Figuren und ihrer Sprache erstaunlich gut heraus. Das letzte Wort hat Asdin, ein Araber, gespielt von Ilir Kadrija. Er spricht in einer fremden Sprache, die niemand versteht (es ist Albanisch). Die Worte hören sich poetisch an und wecken die Sehnsucht nach etwas, das dieser Gesellschaft, dieser Welt vor und hinter den Stäben, so gänzlich fremd ist: Dichtung.