Schueler
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09.07.2010: „Drama um Schuld und Verantwortung“

Badische Zeitung, 09.Juli 2010

Ödön von Horvaths Schauspiel „Der jüngste Tag“ am Oken-Gymnasium / Heute Aufführung .

OFFENBURG. Mit einem höchst anspruchsvollen Stück des neben Brecht und Zuckmayer bedeutendsten Autors der Weimarer Republik, Ödön von Horvath, hat die Theater-AG des Oken-Gymnasiums bereits die zweite Premiere in diesem Schuljahr präsentiert – eine in jeder Hinsicht erstaunliche Leistung der 22 Schauspieler und 17 technischen und sonstigen Helfer um die Regisseure Helge Schröder und Johannes Schröder.

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Teresa Keßner als Anna (als Zweitbesetzung im Wechsel mit Katharina Waldhecker) neben Hauptdarsteller Niklas Stahlberger. Foto: Lea Schumann

 

Theater läuft an einer Schule ja sozusagen nebenher, erfordert aber immense Lern- und Probenbereitschaft, um niveauvolle Aufführungen zu gestalten. Dies gelang am „Oken“ einmal mehr, obwohl das Drama um den Bahnbeamten Thomas Hudetz (Niklas Stahlberger) an die Grenzen dessen geht, was jugendliche Laien der Klassen 7 bis 12 leisten können.

 

Der äußerst pflichtbewusste Bahnhofsvorsteher eines kleinen Ortes wird durch den flüchtigen Kuss der Wirtstochter Anna (Katharina Waldhecker, alternierend mit Teresa Keßner) abgelenkt und stellt ein Signal zu spät. Dadurch kommt es zu einem Unglück mit 18 Toten, an dem zunächst niemand schuld sein will. Hudetz beruft sich darauf, immer ein pflichtgetreuer Beamter gewesen zu sein, seine um 13 Jahre ältere und schrecklich eifersüchtige Frau (Marlene Beck) sagt aber gegen ihn aus. Annas Meineid entlastet ihn, die „Volksmeinung“ steht lange auf seiner Seite, denn Frau Hudetz und ihr Bruder (Matthias Walter) werden als Außenseiter allgemein gehasst und gemobbt.

Kleinbürger, die ihre Schuld nicht erkennen

 

Die Dorfgemeinschaft wird vor allem repräsentiert durch das Tratschweib Frau Leimgruber (Nina Neumann), den Wirt (Mike Heidenreich) und Annas derb-naiven Verlobten Ferdinand (Sebastian Müller). Als Anna tot aufgefunden wird, schlägt die Stimmung um, Hudetz wird zum Gejagten, bis er sich schließlich im höchst effektvollen Finale der irdischen Gerechtigkeit und somit der Verantwortung stellt.

 

Horvaths Figuren sind Kleinbürger, die ihre Schuld nicht erkennen oder so lange verdrängen, bis die Katastrophe eintritt. „Das hängt alles zusammen“, sagt Drogeriebesitzer Alfons einmal. Es gibt eine Kette von Schuld: die Lieblosigkeit in der Hudetz’schen Ehe, die Eifersucht der Frau, der leichtfertig provozierende Kuss Annas, die Mentalität der Dorfbewohner, die Sensationsgier und so weiter.

 

Die herausragenden Protagonisten gestalten diese schwierige Gratwanderung zwischen Verstellung und tragischem Zusammenbruch höchst eindringlich und ausdrucksvoll, unterstützt von den gleichfalls gut agierenden Nebenfiguren.

 

Schröder & Schröder sind spannende, dichte Szenen gelungen, mit einem raffinierten Bühnenbild (Endres,Heller): Die Bühne verläuft quer durch die ganze Aula, unter einem aus Seilen geknüpften „Viadukt“ hindurch, und bietet so viele Möglichkeiten, die typisch Horvath’schen Dialoge in Bewegung umzusetzen. Das auf beiden Seiten der Bühne platzierte Publikum hat so immer wieder neue Perspektiven. Eine packende Inszenierung mit vielen Anregungen zum Nachdenken.

 

Die letzte Aufführung von „Der jüngste Tag“ ist heute, Freitag, 9. Juli, um 20 Uhr, im Oken-Gymnasium Offenburg.